Mittwoch, 3. Februar 2016

In den "Latschariplatz-Nachrichten" *** Hier gibt's Kalaschnikows für die Terroristen


Kalaschnikows für Terroristen
Von Nina Behlendorf
Das Attentat auf Charlie Hebdo im Januar 2015, die Anschläge im November 2015: Gleich zwei Mal wird Paris, wird Europa im vergangenen Jahr vom Terror erschüttert. Die französischen Behörden sprechen von einem Krieg. Und dieser Krieg hat seine Waffe: die Kalaschnikow. 
Seit Michail Kalaschnikow 1947 in der damaligen Sowjetunion das Gewehr erfand, wurden weltweit mehr als 100 Millionen Exemplare der Kriegswaffe hergestellt – Nachbauten nicht mitgezählt. Die Waffe breitete sich in alle Winkel der Welt aus, wird in jeder Form gewaltsamer Auseinandersetzung eingesetzt: Ob in Bürgerkriegen oder Bandenkriegen, in der Hand von Kindersoldaten oder von der organisierten Kriminalität. Seit Mitte der 90er Jahre haben auch Terroristen, zunächst von Al Kaida, später auch der sogenannte Islamische Staat die Waffe für sich entdeckt.




Waffenhändler ziehen von Haus zu Haus
Viele illegal in Europa im Umlauf befindliche Kalaschnikows stammen aus den Balkan-Staaten. Der Grund: Während des Krieges in den 90er Jahren wurden Kasernen geplündert, Hunderttausende Kalaschnikows gerieten so in die Hände von Privatleuten. Noch heute ziehen Waffenhändler von Haus zu Haus, stöbern nach "Überbleibseln" des Balkankrieges - und verkaufen diese über Mittelsmänner weiter, die sie in die Europäische Union liefern.

Organisierte Kriminalität und Terrorismus gingen und gehen dabei häufig Hand in Hand: "Wenn Dschihadisten Waffen brauchen, kann es gut sein, dass sie den Kontakt zur organisierten Kriminalität suchen", sagt Major Mikael Petit, Ballistiker am französischen Institut de Recherche Criminelle de la Gendarme Nationale. "Wenn es jemanden gibt, der eine Waffe braucht und jemanden der eine hat, dann wird sie verkauft. So einfach ist das."
Schmiergeld für ungarische Zollbeamte
Der französischen Reporterin Vanina Kanban ist es gelungen, die Wege der Kalaschnikows vom Balkan bis in die EU nachzuzeichnen. Sie zeigt: Waffenhändler sind gut organisiert – und haben Kontakte, dank derer es die Kalaschnikows bis in die EU schaffen: "Überall gibt es Schwachstellen. Wir haben viel Zeit investiert, um mit einem Mann vom Zoll in Kontakt zu treten. (…) Du musst Beziehungen haben", erzählt ein Waffenhändler anonym. Bis zu 2.000 Euro – das Vierfache eines Monatslohns – bekommt etwa ein ungarischer Zollbeamter dafür, einen mit Waffen beladenen Pkw an der Grenze ungesehen durchzuwinken.
Und die Polizei? Sie ist allzu oft machtlos. Zwar wurden direkt nach den Attentaten von Paris die Kontrollen an den französischen Grenzen verstärkt. Doch die Zollbeamten sind sich bewusst: Sie können nur Stichproben machen. "Wenn wir ein Fahrzeug durchkämmen, dauert das etwa zwanzig Minuten. In der Zwischenzeit durchfährt ein ganzer Schwall anderer Fahrzeuge die Grenze", sagt David Grandemange, Kommandant der Gendarmerie Gex in der Nähe von Genf.
Waffenkontrollen an den Grenzen sind wirkungslos
Nach den November-Attentaten von Paris stellen Ermittler fest: Einige Kalaschnikows, mit denen die Attentäter mehr als 90 Menschen töteten, stammten aus einer serbischen Waffen-Fabrik. Reporterin Kanban konfrontiert den Geschäftsführer der Fabrik mit diesem Recherche-Ergebnis. Doch Milojko Brzakovic weist jegliche Verantwortung von sich: Die Kalaschnikows seien legal verkauft worden. Für das, was danach passiere, trage er keine Verantwortung: "Wenn sich ein Land im Krieg befindet und jemand die Waffe eines getöteten Soldaten mitnimmt – wie soll man das kontrollieren können?"
Bitteres Fazit der Recherchen: Das Geschäft mit den Kalaschnikows lässt sich kaum unterbinden. Hunderttausende Exemplare dieses Sturmgewehrs kursieren weiter in Europa. Und die Behörden scheinen allzu oft machtlos.

Teilen